Die Rolle der Mutter

Eine Frau, die ein Kind auf die Welt gebracht hat, hat meistens schon ein Gespür dafür, was Verlust bedeutet. Im Gegensatz zu Männern lernen Frauen ihre eigene Endlichkeit und Vergänglichkeit auch ohne Rituale kennen, was ihnen einen wichtigen spirituellen Vorsprung bringt. Sei es durch die Monatsblutung, Regelschmerzen, Stimmungsschwankungen, Schwangerschaft oder das Kindsbett, eine Frau lernt im Leben mit Schwierigkeiten und Niederschlägen umzugehen und läuft seltener Gefahr sich in Allmachtsgefühlen wiederzufinden. Dadurch wird sie auch auf einen wichtigen Verlust vorbereitet, den Verlust ihres Sohnes.

Kommt der Sohn in die Pubertät entstehen Schwierigkeiten in der Mutter-Sohn-Beziehung, welche für die weitere Entwicklung des Jungen bedeutsam sind.
Er will nicht mehr bemuttert werden und lehnt dies ab, ist auf der anderen Seite aber immernoch emotional von ihr abhängig und zornig über diesen Zwiespalt. Die Mutter empfindet hier ähnlich. Sie spürt, dass er nicht mehr ihr kleiner Junge ist und möchte, dass er sich zum reifen Mann entwickelt. Gleichzeitig kann sie jedoch ihren Mutterinstinkt nicht unterdrücken. Diesem Thema muss der Vater einen glatten Schnitt versetzen und den Sohn mit liebevoller Gewalt aus der Obhut der Mutter entreißen. Dieser Prozess des Loslassens ist bitter für die Mutter und ihren Sohn, doch ohne ihn wird die Zukunft Unheil bringen. Eine Mutter muss an dieser Stelle erkennen, dass ihr Sohn so wie ihn kannte nicht mehr existiert und ihre eigene emotionale Abhängigkeit von ihm loslassen. Es wird eine Zeit des Trauerns dafür notwendig sein. Sie tut in diesem Falle gut daran, dem Sohn ihre Trauer vorzuenthalten, damit dieser nicht aus Schuldgefühlen „ins Nest“ zurückkehrt, solange seine Männlichkeit noch nicht gefestigt ist.
Nach diesem Vorgang des Abnabelns ist der Weg bereitet, um eine neue Beziehung zu ihm aufzubauen. Diese Beziehung muss allerdings die absolute Freiheit und neu entdeckte Männlichkeit des Sohnes respektieren und den nötigen Abstand wahren, um sich auf Augenhöhe zu begegnen. Jegliche Bevormundung und Bemutterung muss dafür abgelegt werden, dann ist der Grundstein gelegt für eine wahrhaft erfüllende und reife Mutter-Sohn-Beziehung, welche eine gesunde Weiterentwicklung von beiden Parteien gewährleistet.

Geschieht dies nicht, wird der Junge nicht beginnen, sich komplett als Mann zu identifizieren und damit  späteren Identitätskrisen den Weg ebnen. Gleichzeitig versäumt er es, sich aus seiner emotionalen Abhängigkeit zu befreien und wird entweder ein gespanntes oder übermäßig enges Verhältnis mit der Mutter eingehen. Im ersten Fall wird er sich von seiner Mutter zurückziehen und unterbewusst einen Ersatz mit einer anderen Frau suchen. Das Resultat ist der vielbeobachtete unterwürfige Mann, der Nice-Guy, der es versucht anderen Frauen recht zu machen, um ihre Liebe zu gewinnen, wie bei Mami damals. Dieser Mann ist von Natur aus unfähig eine echte Beziehung zu einer Frau aufzubauen, da emotionale Abhängigkeit und Bedürftigkeit seine Partnerin zur Göttin hochstilisieren, welcher keine Frau gerecht werden kann. Viele dieser Männer sind sich ihrer Probleme zu einem gewissen Teil bewusst und können trotzdem nichts dagegen tun. Ihre Seele ist immernoch erfüllt vom Vaterhunger und der Sehnsucht nach der Abnabelung von der Mutter.
Besonders bei Jungen, welche Männer in ihrer Kindheit als bedrohlich und fremd wahrgenommen haben, besteht die Gefahr, dass der Junge nie das Bedürfniss entwickelt das wärmende Nest der Mutter zu verlassen. Er wird dann keinen gesunden Kontakt zur eigenen Männlichkeit finden und keine wahre Beziehung zu einer Frau entwickeln wollen, da seine oberste Treue immer seiner Mutter gilt.